E-Mails vollbringen keine Geschwindigkeitswunder

In jedem zweiten E-Mail-Knigge kann man nachlesen, dass man E-Mails besonders schnell – je nach Ratgeber mindestens am gleichen Tag oder sogar innerhalb von Stunden – beantworten solle.

Die Begründung: Die Leute erwarten dies. Ehrlich gesagt ist das auch kein Wunder, wenn so ein Unsinn in Ratgebern steht.

Mit welchen Antwortzeiten Sie bei E-Mails realistisch rechnen müssen

Die E-Mail ist ein effizientes Medium und außerdem sehr preiswert. Ein besonders schnelles Medium ist die E-Mail nicht. Hier gibt es inzwischen das sehr viel schnellere Instant Messaging (z.B. Skype). Außerdem sind Telefon oder SMS letztlich ebenfalls schneller.

Man kann also getrost sagen: Wenn jemand wirklich wert auf eine schnelle Antwort legt, dann wählt er wohl eher ein schnelles Medium, nicht wahr?

Früher haben Sie – wenn Sie etwas wollten, die Angelegenheit aber nicht für ein Telefonat geeignet erschien – einen Brief gesandt. Wollten Sie Postlaufzeit oder Porto sparen, bedienten Sie sich des Faxes. Obwohl ein Brief für hin und her gerade mal 2-3 Tage benötigt und ein Fax nur einige Minuten, erwarteten Sie eine Antwort im Regelfall erst einige zusätzliche Tage später.

Der Grund ist einfach: Die Empfänger warten nicht exklusiv darauf etwas zu tun zu bekommen. Je nach Auslastungssituation braucht jede Behörde oder Firma mehr oder weniger Arbeitszeit, um sich Ihrem Vorgang widmen zu können.

Weil die E-Mail effizient und preiswert ist, hat die E-Mail den klassischen Brief oder auch das Fax mittlerweile als Hauptkommunikationsmittel abgelöst. Die Postlaufzeiten fallen nun zwar weg, aber die Grundsituation in Firmen und Behörden hat sich nicht geändert: Niemand wartet auf Arbeit.

Nur weil die Korrespondenz plötzlich als E-Mail aufschlägt – statt als klassischer Brief – bedeutet dies nicht, dass auf wundersame Weise die übrige Arbeit verschwindet oder die Bearbeitungszeit sich in Nichts auflöst.

Wenn Sie eine E-Mail verschicken, sollten Sie daher grundsätzlich davon ausgehen, dass Ihr gegenüber – je nach Auslastungssituation zwischen 3 und 7 Tagen Bearbeitungszeit benötigt. Haben Sie es eilig, sollten Sie es mit Instant Messaging oder Telefon probieren – zumindest sollten Sie im Betreff der E-Mail erwähnen, dass der Vorgang eilig ist.

Ganz und gar vermeiden sollten Sie es nach wenigen Stunden Erinnerungen zu senden oder gar zu nörgeln. Ihr Gegenüber kann nichts dafür, wenn Sie das Medium nicht verstanden haben.

Wie schnell Sie E-Mails an Kunden beantworten sollten

Wenn Sie der Empfänger sind, ist die Situation leider nicht ganz so einfach. Weil zahlreiche Ratgeber behaupten, es entspräche dem heutigen E-Mail-Knigge schnell zu antworten, wird hier oft eine falsche Erwartungshaltung geweckt.

Wenn es geht, versuchen Sie E-Mails in der Bearbeitung zu priorisieren und schnell zu antworten. Geht dies nicht, machen Sie sich keinen Kopf und fangen Sie bloß nicht mit Auto-Respondern an:

Ein Kunde mit überzogener Erwartungshaltung wird Sie voraussichtlich zügig „erinnern“. Sie können (und sollten) ihm dann immer noch eine Zwischenmitteilung geben.

Wieso ist es falsch, was in E-Mail-Ratgebern (Knigges) steht?

In der Anfangszeit der E-Mail war es tatsächlich Usus, E-Mails sehr schnell zu beantworten. Es wurden ja auch noch sehr wenige verschickt. Außerdem war die E-Mail zu der Zeit neben dem Telefon das schnellste Medium. Hier entstand die Erwartungshaltung, dass eine E-Mail schnell beantwortet werden müsse.

Zu dieser Zeit entstanden die ersten Ratgeber. Nun sind die klassischen Medien nicht sehr kreativ. Deswegen werden alte Ratgeber oft zu Rate gezogen, für jede neue Veröffentlichung. Es wird noch lange dauern, bis sich sich die Medien auf die neue Wirklichkeit eingestellt haben.

Mit der Veränderung des Kommunikationsverhaltens hat die E-Mail die klassischen Korrespondenz-Instrumente in der Masse ersetzt. Dies hat auch die Spielregeln verändert. So einfach ist das.

3 Tage Bearbeitungszeit für eine E-Mail entspricht den guten Sitten

Was gute Sitten sind orientiert sich an dem, was die Mehrheit der Menschen in der Praxis tun und erwarten.

Weil 90% aller Menschen nicht beim Essen rülpsen, entspricht es den guten Sitten, dies zu unterlassen. (Das war im Mittelalter übrigens genau andersherum. Ein Rülpsen galt als Kompliment für das Essen und wurde unbedingt erwartet, so kann man denn auch gut sehen, dass Sitten wirklich vom Usus der Masse abhängen.)

Immer wieder werden Firmen und Behörden getestet und das Ergebnis ist immer das gleiche: Mehr als 90% benötigen Antwortzeiten von 3 Tagen oder mehr.

Wenn aber 90% der Firmen und Behörden entsprechende Antwortzeiten in der Praxis haben, dann ist der Schluss sehr einfach: 90% der Firmen und Behörden verstoßen nicht gegen gute Sitten, Sie definieren durch Ihr Verhalten, was bei beruflicher und formeller Kommunikation Sitte ist.




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